Ich hatte gerade mein 57. Lebensjahr beendet, als mir beim Anschauen der Krimiserie „Die Brücke“ bewusst wurde, dass ich im Laufe meines langen Lebens als begeisterter Sprachenlerner die nordischen Sprachen bislang sträflich vernachlässigt hatte. Ich bin ein Fan der Sparte „Nordisches Noir“, womit düstere, sehr abgründige und sehr gut komponierte Krimis aus Skandinavien, Island und Finnland gemeint sind.

Und da war es, so dachte ich, endlich an der Zeit, etwas dafür zu tun, diese Filme auch mal im Original genießen zu können. Und als netter Nebenfeffekt könnte man auch tiefer in die schwedische Metal-Lyrik eindringen, wenn man auf Schwedisch singende Gruppen wie „Lifelover“ hört. Ich schnappte mir also aus meiner stets wachsenden Fremdsprachen-Lehrbuchsammlung das Buch „Välkomna! neu“, das 2013 im Klett-Verlag erschienen war, mit zwei Audio-CDs ausgestattet ist und die GER-Niveaustufen A1 und A2 abdeckt. Um es vorwegzunehmen:

Nach der Durcharbeit des Lehrbuchs kann ich nun tatsächlich mindestens 50 Prozent der Dialoge in schwedischsprachigen Filmen verstehen, und beim Einschalten von deutschen Untertiteln schaffe ich es sogar, circa 80 Prozent der gehörten schwedischen Wörter zu identifizieren. Diese Quote hat natürlich etwas damit zu tun, dass Schwedisch als germanische Sprache für einen deutschen Muttersprachler relativ leicht zu verstehen ist, obwohl es ja gerade bei eng miteinander verwandten Sprachen viele falsche Freunde gibt.

Wenn man sich die gemeinsamen Ursprünge allerdings bewusst macht, kann man sich viele nützliche Eselsbrücken zum Lernen schwedischer Vokabeln erschließen. Wie merkt man sich zum Beispiel, dass låta „klingen“ bedeutet? Ganz einfach, in dem man etwa mit låta das deutsche Verb „lauten“ assoziiert und sich dabei vorstellt, wie eine Laute klingt. Bei „sjukdom“ erinnert man sich an „Siechtum“ und gelangt so zu „Krankheit“, vor allem wenn man dabei noch an das englische Wort  „sick“ denkt. Und bei „trött“ (müde) könnte man sich vorstellen, wie man nach einer langen Wanderung in den westschwedischen Bergen etwas aus dem Tritt gerät.

Viele Vokabeln merkt man sich aber auch über etwas abwegige Eselsbrücken wie etwa „bra“, was „gut“ bedeutet“ und an einen bekannten Rapper erinnert. Und zahlreiche Wörter erschließen sich ganz von selbst wie „midsommar“. Dann gibt es noch ganz harmlose schwedische Wörter, die für deutsche Ohren zunächst nicht jugendfrei klingen und sich gerade deswegen sofort felsenfest ins Lernerhirn einbrennen: Übersetzen Sie bitte nie den folgenden Satz ins Schwedische: „Ich bekam eine Kaffeepause um sechs.“

Das Lehrbuch „Välkomna! neu“ macht im Großen und Ganzen Spaß, auch wenn es eher für einen Gruppenkurs an der Volkshochschule zugeschnitten ist und weniger für Selbstlerner. Mit ein paar Handgriffen könnte man so ein Buch aber auch selbstlernerfreundlicher gestalten und eine viel größere Zielgruppe erreichen. Vor allem mit ausführlicheren und übersichtlicheren Erklärungen zur Grammatik, die man nicht in ein Arbeitsbuch auslagert. Oder mit wohlrationierten Vokabellisten, die nicht durch Schräg- und Bindestriche verwirren wie „ligg/a –er“. Natürlich versteht der aufmerksame Leser, dass damit gemein ist, dass „ligga“ der Infinitiv ist und „ligger“ die Präsenzform. Aber zum schnellen Vokabellernen empfinde ich diese lexikonhaften Strichorgien als störend.

Auch werden für meinen Geschmack viel zu viele neue Vokabeln in jede der 18 Lektionen gepackt, nämlich teilweise bis zu über hundert. Für jemanden wie mich, der gerne die Vokabeln einer neuen Einheit binnen einer halben Stunde auswendig lernt, ist das eine zu große Menge. Nach meiner groben Schätzung hat das gesamte Lehrbuch fast zweitausend Vokabeln, während für die Niveaustufe A2 des GER (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen) in der Regel 1200 Wörter ausreichend sind. Wenn man schon so viele Vokabeln unterbringen will, dann hätte man meines Erachtens lieber zum Beispiel 30 Lektionen mit jeweils nicht mehr als 50 neuen Vokabeln schaffen sollen.

Ein anderes Manko der Vokabelpolitik in diesem Buch ist, dass vor allem in den Hörtexten viele Wörter auftauchen, die in der Vokabelliste der dazugehörenden Lektion noch nicht aufgeführt sind und oft erst viele Lektionen später eingeführt werden. Der Anspruch ist offenbar, dass man in die Sprache eintaucht, ohne direkt alles verstehen zu müssen, doch an dieser Stelle bin ich ein ganz anderer Lernertyp: Ich möchte aufgrund des in der neuen Lektion Erlernten nahezu hundertprozentige Erfolgserlebnisse nicht nur beim Lese-, sondern auch beim Hörverstehen haben, zumindest nachdem ich mir die Audio-Dateien ein paar dutzend Male beim Autofahren angehört habe.

Sehr schön kommen meines Erachtens die unterschiedlichen schwedischen Dialekte im Lehrwerk zum Ausdruck, auch wenn ich mich hier über ein paar zusätzliche Informationen gefreut hätte. Ein Sprecher auf der CD spricht zum Beispiel das i oder y so aus, als ob man den Vokal mit einem erstickten Vibrato kurz vor der Bildung eines L abbricht. Doch erst auf dem Youtube-Kanal „Sprich mal Schwedisch“ habe ich von einem sympathischen Schweden erfahren, dass dieser Laut „gequetschtes“ i oder y heißt, ursprünglich regional begrenzt war, sich in der Sprache der Jugendlichen aber immer größerer Beliebtheit erfreut.

Als Gerolltes-R-Legastheniker fand ich es schön, dass es in Schweden auch Dialekte gibt, bei denen man das R wie im Deutschen ausspricht, vor allem wohl in Südschweden. Dafür dehnen die Vertreter dieses Dialekts Vokale wie å oft zu einem Diphthong und legen eine facettenreiche Satzmelodie an den Tag, wie man sie sonst nur vom Rheinländischen her kennt. Eine Vertreterin dieses Dialekts findet sich auch auf der CD von „Välkomna“ und besticht durch eine sehr angenehme und lässige Stimme, bei der man sich direkt eine coole blonde Schwedin nach dem Verzehr einer Dose Surströmming vorstellt.

Sehr lobenswert fand ich die landeskundlichen Ausführungen im Buch. In jeder Lektion wird eine der Provinzen Schwedens vorgestellt, so dass man sofort Lust auf eine Wanderung durch das Fjäll oder eine Bootsfahrt im Bohuslän bekommt. Auch das Klischee von Schweden als Krimiland wird bedient, indem Henning Mankell und Stieg Larson porträtiert werden. Und auf der CD hört man Lieder, die man sonst nur aus dem Horrorfilm „Midsommar“ (2019) kennt.

Insgesamt hat Schwedisch mir großen Spaß gemacht, und an dieser Stelle bedanke ich mich trotz der angebrachten Kritikpunkte auch bei den Machern von „Välkomna! neu“ herzlich für die großartige Unterhaltung und die netten Anregungen. Auf meiner Reiseliste ist Schweden nun auf jeden Fall ein paar Plätze nach vorne gerückt.

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Ein Gedanke zu „Nordisches Noir, gequetschte Vokale und lustige falsche Freunde: Schwedisch mit „Välkomna! neu““

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